Gefäße. Zu Arbeiten von Katharina Neuweg
Gefäße definieren und begrenzen Volumen. Mit ihrer Herstellung begann die menschliche Kulturgeschichte. Heute sind sie sowohl ein Produkt der genormten Industriekultur als auch ein Objekt individueller Gestaltung. Als bildwürdigen Gegenstand kennt sie bereits die Antike, wo der sakrale als auch profane Alltagsumgang mit ihnen dargestellt wurde. Eine symbolisch aufgeladen Solorolle im Bildraum der Malerei bekamen sie in den Stilleben des Barock. In der Moderne schließlich gehörten Gefäßmotive zu den ikonischen Schlüsselwerken und führten durch die Reduzierung auf reine Form-, Flächen- und Farbbeziehungen hin zur geometrischen Abstraktion.
Katharina Neuweg richtet Ihr malerisches Interesse auf Gefäße als Artefakte menschlicher Interaktion. Die Athmosphäre nach einem Theaterstück oder einem Fest - mit den in der Luft oder auch materiell liegen- und stehengebliebenen Dingen - geht ihr oft besonders nahe.
Das berichtet die Künstlerin, die schon vor ihrem Malereistudium auf eine professionelle Karriere als Bühnentänzerin zurückblickte. Ihr langjähriger Lehrer Günter Forg stand exemplarisch für das Potenzial der Aufladung des physischen Pinselstrichs im Kontext Kunst. Entscheidend dabei war die innere Haltung, die Förg auch durch mehrere Jahre als gewerblich arbeitender „Anstreicher“ erwarb. „Sehen muss man lernen", war einer der zentralen Sätze, den der 2017 verstorbene Förg seinen Student*innen an der Münchener Kunstakademie mitgab, erinnert sich Katharina Neuweg.
Die Idee, sich für weitere visuelle Erkundungen einer Anordnung von keramischen Gefäßen zuzuwenden, kam Katharina Neuweg in einem Kirchenraum, als bewusste Fortführung einer weiteren Motivserie mit Stühlen aus dem Jahr 2016. In einem seriellen Ansatz stellte sie für die Farbgebung konzeptuelle Regeln auf. Das Setting ist nicht allzu streng – die abweichende Überraschung eine Möglichkeit. Wahlweise thematisiert Neuweg den Negativraum zwischen den Umrissen der modellhaft arrangierten Objekte oder betont die Linie in ihrer körperhaften Essenz. Energetische Paarkonstellationen geben dabei häufig den Ton an. Die beziehungsreiche Spannung der Formen wird erlöst und gleichzeitig gebrochen durch die organische Präsenz flüssigen Farbmediums. Der augenscheinliche Minimalismus dieser Arbeiten zwingt den Betrachtenden zu aktivem Sehen, das mehr als Anschauen beinhaltet. „Ich reduziere das Objekt so sehr dass ein assoziative Freiraum entsteht“, notiert die Künstlerin.
Den auf diese Weise entstandenen Arbeiten aus Aquarell und Tusche stellt Neuweg ausgewählte Zitate des französischen Philosophen Maurice Merleau-Ponty anbei. In dessen Werken findet sich die Auseinandersetzung mit dem Problem der Dualität von Körper und Geist. Merleau-Ponty entwickelte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Denken, das mit Begriffen wie Ambiguität „ein wechselseitiges Eingelassensein und Verflochtensein des einen ins andere“ beschrieb. Dem Leib als „Gefäß und Ort aller menschlicher Erfahrung“, weder reines Ding noch reines Bewusstsein, kam dabei eine zentrale Rolle bei der Überwindung der Dualität zu. Die letzte Schrift Merleau-Ponty's, der sich auch über das malerische Sehen als geistigen Akt äußerte, hieß „Das Sichtbare und das Unsichtbare“.
Die neuen Arbeiten von Katharina Neuweg sind beidem auf der Spur.
Jörg Wunderlich