Streetart ist Kommunikation. Streetart ist Rebellion. Streetart ist Aneignung. Streetart ist Mitgestalten. Streetart ist kurzlebig und immer auf den Moment bezogen. In Griechenland passiert aktuell sehr viel. Es gibt viele Baustellen. Was Wunder, dass Athens Straßen die Bewegungen widerspiegeln.
Während eines Spaziergangs durch das linke Athener Stadtviertel Exarchia an der Seite eines ortskundigen Menschen, der vordergründig über die sozialen Protestbewegungen sprach, die vielmals in diesem Viertel ihre Anfänge und auch Abgänge fanden, fielen mir die ungemein lebendigen Hauswände auf. Mit meinem Urlaubsknipser in der Hand habe ich bestimmte Momente festgehalten. Die Fotografien zeigen in ihrer Summe einen Ausschnitt, der stark geprägt ist von der Stimmung, in der ich mich befand, während ich sehr angetan und aufgeregt durch diese Straßen geführt wurde. Einem Anspruch auf ein repräsentatives oder gar vollständiges Bild kann meine Fragmentesammlung keinesfalls gerecht werden. Aber einen Eindruck kann sie vermitteln. Meinen nämlich.
Athen als Streetart-Metropole
Wenn man durch Athen läuft, kommt man nicht umhin Graffiti und Streetart zu bemerken. In bestimmten Vierteln wird man gar schwerlich eine leere Wand finden. Streetart hat in Athen seit ca. 2006 einen enormen Boom erlebt. In etwa also, als die wirtschaftliche Krise leise sich bemerkbar machte. Zwar gab es auch vorher, wie in nahezu jeder größeren Stadt, Graffiti, doch keinesfalls in einem Maße wie heute. Die Möglichkeiten der griechischen Hauptstadt erregen seitdem Aufmerksamkeit in der internationalen Szene. Man trifft auf einige bekannte Tags, wie die der Berliner Crew 1Up. Athen ist zu einer internationalen Spielwiese geworden. Auch für den Balinesischen Streetartist Wild Drawing, der mit seinen großformatigen Arbeiten sehr präsent ist.
Es scheinen sich die Athener nicht sonderlich an den ungefragten Übergriffen auf das Stadtbild zu stören. Schlecht übermaltes oder entferntes Graffiti habe ich kaum gesehen. Stattdessen erzählt man Geschichten wie über den Künstler INO, der von der Polizei wegen eines großen Wandbildes festgesetzt wurde, um eine Woche später von dem Hausbesitzer für seine Arbeit bezahlt zu werden. Scheinbar können Streetartists meist jedoch recht ungehindert ihrem Werk nachgehen, ohne dass Polizei oder Anwohner sie selbst am Tag daran hindern würden. Anders hätten bestimmte Bilder auch nicht entstehen können.
Dreyk the pirate, der bereits seit 1999 seine Matrosen und Piraten in Athen verteilt, gilt als einer der Pioniere der Streetartszene. Er arbeitet als Illustrator unter anderem für das populäre freie Magazin LIFO.
Fassaden als Leinwände zu begreifen, bekommt in dem alternativen Stadtviertel Exarchia nochmal eine ganz andere Bedeutung, wenn Künstler mit einem Pinsel vor der Wand stehen und sich einer Situation hingeben können, die zwar auch nicht ohne den Nervenkitzel des Verbotenen ist, aber dennoch die Freiheit lässt sich auf den malerischen Prozess einzulassen. In Exarchia vermischen sich Graffiti, Streetart und schnelle Parolen. Das Themenspektrum reicht von der klassischen Signature bis zu nervtötend häufigen Liebesbotschaften. Alle Formen von Streetart, vom Stancil bis zum Sticker und Poster, sind vertreten. Exarchias Straßen sind wie ein Lehrbuch – und dies nicht allein bezüglich Fragen an Urban Art. Man findet alles in den Straßen. Auch den größten Unfug und Albernheiten. Parolen werden kommentiert und Graffiti gecrossed. Aber genau diese Vielfalt lässt ein Gefühl von Freiheit und Lebendigkeit wachsen, das ungemein inspirierend ist.
Graffiti als politischer Kommentar
Sowohl gesprühte Tags als auch einzelne Wandbilder erscheinen häufig als unmittelbare Reaktion auf politisches oder gesellschaftliches Geschehen. Sie finden am unmittelbaren Ort ihren Ausdruck, da, wo die Leute leben und wo sie ihre Inhalte als Botschaften platzieren wollen, um wahrgenommen zu werden. In einer Stadt, wo aktuelle Politik eine derart spürbare Brisanz hat und parlamentarische Politik eine starke Öffentlichkeit, ist auch der politische Bezug an den Fassaden der Stadt sehr präsent. Die Inhalte der Parolen wiederholen sich, doch ihr Ausdruck ist sehr verschieden, sieht man von den unzähligen Anarchie-, ACAB- und Fuck-the-Police-Tags ab. Gerade in Exarchia findet man zahllose anarchistische Slogans. Viele andere Tags beziehen sich auf die Gesellschaft und üben Kritik an verschiedenen gesellschaftlichen Systemen und Wertvorstellungen, verlangen nach Veränderung und proklamieren Missstände.
Doch daneben steht eine Bandbreite politischer Kommentare, die sich sichtbar vordergründig auf die aktuelle Krise und den Umgang mit dieser seitens der offiziellen Politik beziehen. Sie spiegeln einen politischen Unmut und soziale Unzufriedenheit wider. An den Hauswänden findet ein konstruktiver politischer Diskurs statt abseits von Frustration und Enttäuschung, aber dennoch geprägt von Wut und Hoffnung. Nicht selten vermittelt durch Humor und Selbstironie.
Dabei lesen sich die einzelnen Stücke wie die Kommentarseite einer Tageszeitung. Tsipras als Messias dürfte wohl bereits älter sein, während sich der Bankomat mit dem Testbild klar auf die andauernden Kapitalsverkehrskontrollen bezieht. Die Austeritätspolitik und die Frage nach dem Verbleib in der Eurozone spiegeln sich wieder. Die Zeit vor dem Referendum wiederum hat in Exarchia Forderungen nach einer klaren Antwort hinterlassen.
Urbane Legenden
Ein häufiges Merkmal von Streetart ist, dass sie einfach zu lesen ist. Man muss nur wach sein und vielleicht ab und an eine Tageszeitung in den Händen gehabt haben, um die sarkastischen Kommentare, bissigen Anspielungen und romantischen Botschaften zu verstehen. Für einige andere wiederum bedarf es eines gewissen Insiderwissens, um den anekdotischen Charakter entschlüsseln zu können.
Man erzählte mir, die Steetartists ließen sich im Wesentlichen in vier Kategorien einteilen: Studierende der bildenden Künste, Designer, Tattookünstler und Zahnärzte. Einer aus letzterer Kategorie ist der Streetartist MaPet.
Im Griechischen gibt es verschiedene Worte um 'vergiften' näher zu beschreiben. In diesem Fall beschreibt das Wort den Vorgang Gift ins Essen zu tun, so wie man es mit Straßenhunden macht. MaPet verwendet oft bekannte Symbole und Figuren, um über den Wiedererkennungswert klare Reize zu triggern. Auch Fifi ist so eine, den meisten Griechen bekannte Figur.
Der Rapper MC Killah P wurde 2013 von einem Anhänger der neonazistischen Partei Goldene Morgenröte erstochen, als er mit Freunden in einem Café ein Fußballspiel verfolgte. Killah P lässt sich der Antifaschistischen Szene zurechnen, sodass sein Mord als politisch motiviert gilt und dementsprechend heftige Reaktionen in der Szene und krasse Demonstrationen zur Folge hatte.
Asteras Exarchion ist ein Fußballverein, dessen Fanschaft sich vor allem aus der linken anarchistischen Szene rekrutiert. Der Verein nimmt keine Eintrittsgelder bei Spielen im eigenen Stadion. Die größte Vereinsparty dürfte wohl der Wiederabstieg in die dritte Liga gewesen sein.
Ein Grafitti, zu dem ich kein Foto habe, von dem ich aber dennoch erzählen möchte, weil die Geschichte zu legendär ist, ist dem „Riot Dog“ gewidmet. Loukarnos (= Würstchen) wurde zum Maskottchen der Anarchisten. Als adoptierter Straßenhund engagierte er sich aktiv auf Protesten und Demonstrationen, bellte immer in der ersten Reihe und entwickelte wohl etwas wie eine Tränengasresistenz. Loukarnikos konnte Polizisten nicht sonderlich leiden und verteidigte die Demonstranten. Die Inschrift in dem Graffiti an einer verlassenen Feuerwehrstation in Psirri lautet: „Wir haben das Tränengas gemeinsam gefressen!“ und „All dogs go to heaven“. Gemalt von: Smart, N-Grams und Martinez.
Im Endeffekt passiert auf Exarchias Freiflächen weder etwas Überraschendes noch etwas Neues. Es ist vor allem die Dichte, die explizite Vielfalt und eine gewisse Dringlichkeit, die beeindrucken. Denn beeindruckend ist dieses Viertel, dessen spannende Atmosphäre sich nicht zuletzt aus den Graffiti speist. Denn es sind Exarchias Menschen, die durch sie sprechen.
Eine Auseinandersetzung mit Streetart in Athen findet an zahlreichen Stellen statt. Hier ein Link zu einer Kurzdoku mit englischen Untertiteln, die einen recht guten Überblick gibt.