Ostdeutsches Klassentreffen im Tiergarten, Klaus Pankow
„einmal fährt auf einem dampfer klaus schlesinger, eine veranstaltung des westberliner schriftstellerverbandes, klaus schlesinger steht an einer reling und wird gefragt, unvermittelt: bereuen sies? und klaus schlesinger sieht hin, wartet eine sekunde und sagt: das, das konnte ich ja nicht wissen.“ (Ronald M. Schernikau: Die Tage in L.)
Buchpremiere am 8. Juni im Haus der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg:
Präsentiert wird der Briefwechsel von Kurt Bartsch und Wasja Götze „In all dem herrlichen Chaos“. Der absonderliche Charme des Akademie-Betonbaus passt sehr gut zur Versammlung der 200 Gäste. Es ist ein Klassentreffen mit Patina. Fast alle kennen sich, großes Hallo, Umarmungen, Küsschen. Ob sich denn auch alle mögen, steht dahin. Einige Quoten-Wessis hat es auch in den Tiergarten verschlagen, Johano Strasser wird gesichtet. Insgesamt ist es aber eine Zusammenkunft ostdeutscher Provenienz.
Irene Böhme hat den Briefwechsel des Berliner Dichters Kurt Bartsch (1937 - 2010) und des Hallenser Malers Wasja Götze (* 1941) aus der Zeit von 1982 bis 1989 herausgegeben und mit einem klugen Nachwort versehen. Der Mitteldeutsche Verlag in Halle (Saale) hat den Band gedruckt. Es ist eine sorgfältige, schön gearbeitete Ausgabe, vor allem die farbigen Repros der Malerbriefe Wasja Götzes sind ein Vergnügen.
Bartsch und Götze lernen sich im Frühjahr 1972 in einer Berliner Bar kennen, der Berliner und der Sachse lieben sich wirklich inniglich, das wird schnell klar. Kurt Bartsch gehört 1976 zu den Unterzeichnern der Biermann-Petition und 1979 zu den Ausgeschlossenen aus dem Schriftstellerverband der DDR. 1980 wechselt er nicht nur die Straßenseite und reist nach West-Berlin aus. Die Freundschaft von Bartsch und Götze findet nun zwangsläufig in Briefen ihre Fortsetzung, keine nächtelangen Debatten um Gott, die Welt und die Frauen mehr, keine gemeinsamen Besäufnisse mehr, das ist hart. Der Inhalt ihrer Briefe kreist um Alltägliches, um Künstlertratsch und bei Wasja Götze permanent um gewünschte Ersatzteile für sein Rennrad. Am Morgen des 10. November 1989 steht dann Götze vor Kurt Bartschs Wohnungstür.
Aber diese oft witzigen, ironischen Briefe sind nicht nur Zeitzeugnisse einer lang andauernden Freundschaft, sie machen auch die Unterschiede deutlich: Wasja Götze lebt in Halle, die Stadt zerfällt zusehends, viele Freunde stellen Ausreiseanträge, es wird still um ihn, der Markterfolg bleibt aus. Briefe aus der grauen Provinz. Kurt Bartsch hingegen lernt ein Stück Welt kennen, seine Berichte von Treffen mit Schriftstellerkollegen in Amsterdam (Saufen mit Betonung mit Adolf Endler!) und von diversen Theaterskandalen eigener Stücke sind großartig, irgendwie lebendiger als die Radsport-Reportagen von Wasja Götze.
Das Treffen der Ehemaligen im Tiergarten zur Vorstellung dieses Briefwechsels war nostalgisch gestimmt, die selbstbewussten Gesten waren auch unehrlich. Sieger der Geschichte waren hier nicht vereint, siehe Klaus Schlesinger: „Das, das konnte ich ja nicht wissen.“
Fotos:
- Lesung am 08.06.2017 in der Akademie der Künste, Berlin, mit Martin Brambach und Michael Kind, Foto: Manfred Mayer
- Kurt Bartsch und Wasja Götze, Juli 1992; Foto: Akademie der Künste / Inge Götze
Kurt Bartsch/Wasja Götze: In all dem herrlichen Chaos. Briefe von 1982 bis 1989, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2017, 320 Seiten,, 24,95 €