Liebe Gäste, liebe Freunde,
wir freuen uns Euch alle zur Eröffnung der Ausstellung participant observer heute Abend begrüßen zu dürfen. Daß diese Ausstellung hier heute eröffnet werden kann war lange sehr ungewiss. Zunächst war nur der Verdacht, hier gibt es eine Geschichte, die nicht zu Ende ist, und die vielleicht etwas zu tun hat mit uns und mit dem was wir hier selber wollen und zu tun versuchen. Und eine große Neugierde.
Danach kam sehr, sehr viel Arbeit, zu lösende Probleme, und viele überraschende Einblicke. Nach all diesen Monaten kommt es mir vor, als kennen wir uns schon lange – Leni, John, die Leute in der Hill Street. Dabei sehen wir uns hier zum ersten Mal.
Hallo Leni, wie schön, daß Du hier bist.
Am Anfang stand eine zufällige Begegnung von Moritz Götze mit Leni Sinclair in Detroit, und etwas später die Frage: kann und will die Akademie der Künste Sachsen-Anhalt diese Ausstellung planen und organisieren. Leni Sinclair, der Name war mir bis dato nicht begegnet. Aber nach kurzer Beschäftigung mit dem Thema war klar: diese Ausstellung sollte hier und vor allem jetzt gemacht werden. Je tiefer wir in die Welt dieser Fotografien eintauchten, umso mehr waren wir im Bann der Geschichten, Ereignisse und Personen, die durch die Fotos erzählt werden. Wir fanden Menschen, die erfüllt waren von Träumen, Ideen und Idealen, die bereit waren für diese zu streiten und zu kämpfen.
Magdalena Arndt war 1945 aus Königsberg geflohen, und mit ihrer Familie in Vahldorf bei Magdeburg gelandet, wo sie nach Kriegsende ein neues Zuhause fanden. Hier verlebte sie ihre Kindheit. Hier beginnt sie Radio zu hören, Radio RIAS Berlin, Radio Luxemburg, Jazz, Rock 'n' Roll, Harry Belafonte, Louis Armstrong, Ella Fitzgerald …
Die Sehnsucht, welche Magdalena Arndt (die spätere Leni Sinclair) die kleine DDR verlassen ließ, kennen alle, die in dieser DDR aufgewachsen sind. 1958 verläßt sie die DDR, 1959 kommt sie an Bord des S. S. United States in New York an. Von dort geht sie nach Detroit, wo Verwandte leben. Im Gepäck hat sie eine kleine Kamera (eine Taxona aus Dresden).
Als Studentin kommt sie schnell in Kontakt mit der Szene in Detroit, den Beatniks. 1964 lernt sie hier ihren späteren Ehemann John Sinclair kennen. Da ist sie bereits fest engagiert in der Anti-Atomkraft-Bewegung, sie arbeitet mit am radikalen Monteith Journal, wird Mitglied der Vereinigung der Students for a Democratic Society.
Im selben Jahr ist sie beteiligt an der Gründung des Detroit Artist Workshop. Ausstellungen, Dichterlesungen und wöchentliche Jazzkonzerte machen den Detroit Artist Workshop schnell zum Hotspot für Künstler und Musiker wie Lyman Woodard, Ron English, den Schlagzeuger Danny Spencer, den Saxophonist Larry Nozereo und vielen anderen.
Leni Sinclair wird zunehmend zur fotografischen Chronistin dieser Zeit. Neben Fotografien von Musikern wie John Coltrane, Thelonious Monk, Miles Davis, Cecil Taylor und Charles Mingus entstehen zahlreiche Fotodokumente vom politischen Kampf um Bürgerrechte, die Beendigung des Vietnamkriegs, vom solidarischen Kampf der White Panther Party (später die Rainbow People's Party) für die Rechte schwarzer Mitmenschen.
Die Ausstellung mit den Fotografien Leni Sinclairs zeigt, wie eng verwoben die politischen Initiativen und Aktionen mit den Ideen der Künstler und Poeten, und mit der Musik gewesen sind. Die vielfältigen Aktivitäten der Gruppe, die Arbeit des Detroit Artist Workshop, die Gründung der „Free University Detroit“, die politische Arbeit in Detroit haben alle die gemeinsame Grundlage der Ideen von Künstlern wie Ezra Pound, Charles Olson, Robert Creeley, von Allen Ginsberg, und vielen anderen.
Poesie und Musik war hierbei alles andere als Background, sie war treibende Energie und künstlerischer Ausdruck des gemeinsamen Lebensgefühls und der Sehnsucht einer Generation nach Freiheit und Gerechtigkeit.
Der Grande Ballroom in Detroit und seine beiden Hausbands, der MC5 und die UP, wurde mit seinen legendären Konzerten das musikalische Nervenzentrum der Gemeinschaft. „Rock 'n' Roll, Dope and Fucking in the Streets“ wurde zum Kampfruf des MC5.
Die Freiräume für all dies wurden voller Selbstbewußtsein erkämpft, eingefordert und verteidigt. Die selbstermächtigten Aktivitäten vereinten eine wachsende Gruppe von Aktivisten mit einem großen Umfeld an Sympathisanten und Mitstreitern. Welche Energie eine solche Gemeinschaft entfalten kann, und welche starke politische Kraft sie werden kann, wird deutlich, wenn man sich ansieht, wieviel Einfluß am Ende davon ausging auf kulturelle und politische Prozesse.
Brennende Themen der Zeit wie rassische und sexuelle Diskriminierung, Ökologie, Mietkontrolle, kostenlose medizinische Versorgung, Legalisierung von Canabis, Rechte von Homosexuellen und freie Meinungsäußerung wurden in die offizielle öffentliche Debatte eingebracht, und neue Gesetze wurden verabschiedet.
Tatsächlich haben die Bewegung und ihre kulturelle Komponente massive Veränderungen im Grundgefüge der amerikanischen Gesellschaft bewirkt, die auch Jahre später noch Bestand haben.
Meßbar ist die Kraft dieser Bewegung auch daran, wieviel Aktivität von Seiten des politischen Establishments entfaltet wurde, die Akteure der Bewegung zu überwachen, auszuspionieren, und die Gemeinschaft durch Infiltration in verfeindete Gruppen zu spalten.
Die Ausmaße der Überwachung werden erstmals bei einer 1975 eingereichten ersten Klage bekannt. Mehr als 30 Polizisten waren mit einem 770.000 Dollar-Budget pro Jahr im Einsatz, 50000 Überwachungsprotokolle wurden damals bekannt, 1990 sind es 1,5 Millionen. Das probate Mittel der Spaltung von politischen Gruppen ist bis heute gebräuchliche Praktik von Regierungen, progressive Bewegungen zu entschärfen um einen überlebten Status Quo zu erhalten.
Die Bilder der Ausstellung erzählen eine Geschichte, die über die tatsächlichen Ereignisse und ihre Hintergründe hinaus geht: Sie zeigen nicht nur davon, was gewesen ist, sondern sie öffnen uns ein kleines Fenster auf das, was möglich wäre.
Leni Sinclair war ihr Leben lang als Aktivistin und als fotografische Zeugin in unzähligen Initiativen aktiv beteiligt. Mit zahlreichen Musikern und Künstlern verbindet sie eine lebenslange Freundschaft. Ihre Fotografien zeigen uns eine Zeit, als aus Gemeinschaften noch nicht Netzwerke geworden sind. Diese Art von Gemeinschaft wurde gelebt und ihr Anspruch auf Selbstbestimmung zelebriert und erkämpft.
Heute ist Leni Sinclair hier unter uns. Und ich möchte Euch alle herzlich einladen die Möglichkeit zu ergreifen mit ihr ein Gespräch zu beginnen.
Die Ausstellung findet auf zwei Etagen statt. In der oberen Etage gibt es eine Musikstation, wo man sich Schallplatten anhören kann.
Zur Ausstellung ist ein Buch mit einem Text von Jane Wegewitz erschienen, welches zum Preis von 30,- € erworben werden kann.
Eine kleine Edition ausgewählter Fotografien von Leni Sinclair kann als signierter fotografischer Handabzug erworben werden.
Der Titel unserer Ausstellung stammt von Leni Sinclair selber: participant observer.
Irgendwo las ich ein Zitat von ihr, mit welchem ich hier enden möchte: „Ich konnte ja nur in den Momenten fotografieren, in denen ich nicht tanzte.“
Wir bedanken uns:
Für Finanzielle Förderung und Unterstützung
- - Beim Land Sachsen-Anhalt
- - Bei der Stadt Halle
- - Der Piratenpartei
- - Bei Thomas Krech
- - Und dem Literaturhaus Halle
- - Bei Leni Sinclair für inhaltliche Hilfestellungen
- - Bei Dietrich Oltmanns für die fotografische Herstellung der Handabzüge der Fotos
- - Bei Jane Wegewitz für den wunderbaren Text unseres Buches
- - Bei Lorraine Wild für die Bereitstellung der Negative
- - Bei Peter Moltmann fürs Korrekturlesen
- - Bei Clara Hofmann für die Öffentlichkeitsarbeit
- - Bei Ute Lohse, Jörg Wunderlich, Wieland Krause, Lars Petersohn und Angelika Schade für Hilfe beim Ausstellungsaufbau
- - Und beim Mitteldeutschen Verlag für sein Vertrauen in unser Projekt
Liebe Leni. Die Akademie der Künste Sachsen-Anhalt möchte Dir die Ehrenmitgiedschaft anbieten und Dich einladen, in einen lebendigen dauerhaften Kontakt zu unserer Initiative zu treten. Vielleicht ist deine Gemeinschaft seinerzeit in Detroit und Ann Arbor gar nicht so unähnlich zu dem, was wir hier, unter ganz anderen Bedingungen, aber immerhin doch auch versuchen. Wir sind keine große Institution, sondern ein selbstermächtigtes Projekt von freien Künstlern dieses Landes. Wir kämpfen mit zahllosen Problemen und Schwierigkeiten, und versuchen dennoch immer wieder als Gemeinschaft aktiv zu werden. Sehr gerne wollen wir von Deinen Erfahrungen lernen.
Es wäre uns eine Ehre, Dich als Ehrenmitglied begrüßen zu dürfen.
T.O. Immisch